Die Kurzfassung:
600km geschafft, kein Unfall oder gesundheitliche Folgeschäden (bis jetzt), kein technisches Problem, trocken geblieben, viel gelernt, unheimlich Stolz (und platt)
Langfassung:
Ich habe lange überlegt, ob ich mir das antue, denn bisher war meine längste Strecke auf dem Rad 306km mit vielen langen Pausen. Ich hatte aber seit letztes Jahr eingetlich das Ziel mal 600 km zu schaffen, damals noch mit einer selbst gebastelten Strecke, die ich in 24h fahren wollte ...
Als Björn mit der Anfrage kam ob jemand Lust hat mitzumachen, dachte ich, wenn nicht jetzt wann dann ? Schließlich lag der Startpunkt in der Nähe (relativ) und ging in meiner alten Heimat vorbei.
Die zusätzliche Herausforderung war, dass ich am Sonntag ca. 29h nach dem Start am Samstag morgen wieder in Düsseldorf sein musste um mit meinen Kollegen ein Acapella Konzert zu geben. Nach langen Überlegungen zur Logistik, habe ich mich entschieden bei meiner Schwester in Bocholt zu starten, was auf der Strecke lag (wirklich 200m entfernt !) und ich quasi meinen Brevet 65km vor dem eigentlichen Start beginne.
Das hat auch gut geklappt, um 5:22 los, denn Start sollte um 8 Uhr morgens in Merselo sein. Hochmotiviert, eine (für mich) nie dagewesene Leistung zu bringen habe ich mich auf den Weg gemacht und nach 35 km schon 4 Randonneure (so heißen diejenigen die an so einem Brevet - zu deutsch, Diplom / Zeugnis, teilnehmen) aus Ahaus getroffen.
In Merselo dann auf Björn meinen Kumpel aus Aachen getroffen, der dieses Brevet brauchte, um sich für Paris - Brest zu qualifizieren. Das ist die Königstour, die nur alle 4 Jahre gefahren wird und dieses Jahr im Augst mit ca. 6000 (!) Teilnehmern aus aller Welt gestartet wird. (Wie ich während der Fahrt festgestellt hatte, haben wohl alle anderen Fahrer an diesem 600er Brevet das als Quali genutzt, ich war wohl der einzige "Rookie" (also Anfänger))
Um 8 Uhr ging es pünktlich los und da Björn erfahren ist, haben wir uns direkt der vorderen Gruppe angeschlossen, um uns zur Not zurückfallen zu lassen um dann mit einer langsameren

weiterzufahren. Alleine Fahren war nicht so angesagt, da auf dem "Hinweg" - die Tour ging erstmal 260km Richtung Groningen - Gegenwind von 25km/h mit Böen bis zu 42km/h angesagt war. Diese Strategie hat mich zu meiner ersten sehr schmerzlichen und lehrreichen Erfahrung gebracht, dass man nicht über seine Verhältnisse starten sollte, das rächt sich später. Nun bin ich auch kein Einfaltspinsel aber ich habe die Rechnung ohne meine "Vorbelastung" von 65km gemacht, die die anderen nicht in den Beinen hatten. Da ich am Start meine Kohlehydratspeicher nicht aufgefüllt hatte, bin ich quasi mit einem Defizit ins Rennen. Auch die Banane und der Riegel beim ersten Kontrollpunkt (KP) bei KM88 (für mich KM153) haben da nicht ausgereicht.
Die Gruppe hat irgendwann angefangen das Tempo anzuziehen, teilweise mit 32-35 km/h bei fettem Gegenwind, den man auch in Teilen mitbekommt, wenn man in der Gruppe fährt und eigentlich Windschatten genießen darf ... Resultat war, dass ich bei (für mich) KM240 aussteigen musste und erstmal alleine weitergefahren bin, bis Björn meinen Verlust gemerkt hat (er war weiter vorne) und dann auf mich gewartet hat. In meinem Kopf geisterten schon Gedanken wie "das wars" und "du nimmst den nächsten Zug nach hause !" Immerhin hatte ich aber bis dahin (mit Hilfe der Gruppe) einen Schnitt von 30,4km/h, was wirklich gut ist bei ca. 120km lang Gegenwind ! (Inklusive einer schnellsten KM Zeit für 200km von 6h 35min, oder 6:35h)
Die nächsten 20km bis zum 2. Kontrollpunkt waren wohl die quälendsten meiner 2,5 jährigen Rennrad "Karriere" ! Meine Akkus (Beine) waren tiefenentladen und das kommt bei Gegenwind nicht gut, trotz Hilfe von Björn, der immer verzweifelt zurückgeschaut hat, wo ich denn bleibe.
Der Kontrollpunkt war ein Restaurant auf einem belebtem Marktplatz (mit Kirmes), in dem ich dann erstmal 2 Cola und einen großen (wirklich großen) Teller Pasta mit Pesto zu mir genommen habe, die Speicher mussten ja aufgefüllt werden. Ein alkoholfreies Bier und ein Kaffee haben das Lebensrettungsprogramm komplettiert und nach ca. 1h sollte es weitergehen. Aber beim Aufstehen hat sich mein Körper mit Krämpfen gegen die erneute Arbeitsaufnahme gewehrt ! Nützt nichts, die musste ich rausstrampeln, also weiter. Allerdings vorne fahren war (im immer noch starken Gegenwind nicht möglich, Björn hat also weiter geholfen.

Nach ca. 15km hatte ich das Gefühl, dass die Beine wieder langsam Leistung bringen können und ich traute mich erst neben und dann ab und zu vor Björn. Mit einem Schnitt von ca. 25km/h ging es also weiter bis Groningen (KM325). Die 300km Zeit war zwischendrin 10:17h...
Rein zum Mäkkes (Mc Donalds) und erstmal einen Big Double Hamburger mit Pommes und großer Cola (Cola ist überhaupt der Retter von entkräfteten Sportlern).
Ab jetzt sollten es nur noch 275km für mich sein mit eigentlich Rückenwind (oder Seitrückenwind). Der hat aber bis dahin etwas abgenommen und so war die Unterstützung nicht wirklich so groß aber zumindest hat man keinen Widerstand von vorne gespürt.
Die Beine waren mittlerweile wieder zurück auf Normal Leistungsniveau (bezogen auf 325km in den Beinen) und so paradox es klingt, ab da hat es Spaß gemacht !
Mittlerweile war es ca. 19 Uhr (nach 55 min Pause dort) und wir fuhren in die Abenddämmerung, mit wirklich schöner Sonne und Farben. Überhaupt muss man sagen, dass wir mit dem Wetter (bis auf den heftigen Gegenwind) wirklich Glück hatten: fast immer Sonne, Temperaturen erträglich (Spitze 15 Grad, aber nachts mit 2 Grad doch ganz schön schattig, aber dazu später mehr). Der nächste KP war 110km entfernt und so fuhren wir (relativ entspannt) in die Nacht hinein. Zwischendrin auf Hälfte der Strecke eine kleinen Snack eingeworfen (ja alle ca. 50km sollten man schon was zu sich nehmen, denn der Speicher muss ja gefüllt bleiben). Irgendwann kann man aber die Riegel nicht mehr sehen und so mussten auch mal ein paar Mettwürstchen her. Die 400km habe ich nach 14h passiert. Gegen 24:00 Uhr haben wir (ca. 1h vor Björns geplanter Zeit) den KP erreicht (eine Autobahnraststätte, die wir "von hinten" angefahren sind. Ein großer Kaffee und ein Schokocroissant sollten diesmal reichen, es galt ja, wach zu bleiben durch die Nacht.
Nachts zu fahren macht mir tatsächlich Spaß denn man ist mit sich in seinem Lichtkegel und links und rechts ist Dunkelheit. Es sind kaum Autos auf den Straßen und es ist sehr ruhig.
Jetzt war es aber Björn der einen kleinen Hänger hatte und so mussten wir etwas das Tempo reduzieren, wirklich helfen konnte ich nicht denn bei ehr Rückenwind hilft vorne fahren nicht so viel. Kurz vor KM500 kam der nächste KP, den wir gegen 03:00 erreicht haben (mal wieder Mäkkes). Diesmal aber kein Burger sondern Caramel

Macchiato mit Erdbeerkuchen - was isst man sonst um diese Zeit ? Den Stop (wieder ca. 55 min) hat Björn genutzt um seine Speicher zu füllen und danach ging es runder weiter, allerdings wurde es nun doch spürbar kalt (besagte 2 Grad) und das macht mit kurzen Handschuhen keinen Spass ! (ok selbst Schuld aber in meine doch etwas reduzierte Randonneur Taschen am Rad war kein Platz mehr für Handschuhe und im Wetterbericht standen ja 5 Grad !). Wir haben noch 2 Holländer mitgenommen, die nach einer "Mitfahrgelegenheit" gefragt haben. Die 500er Marke wurde bei 17:56h passiert (ja Nachts wird man meistens langsamer). So ging es zu 4. in die Morgendämmerung, ein wirklich schönes Erlebnis, mit schönen Fotos. Meine Beine waren immer noch gut und so war es wirklich entspannt. Gegen 6:50 haben wir den für mich letzten KP erreicht, eine Bäckerei, die leider erst um 7:30 öffnen sollte. Zum Glück kam eine nette Dame kurz vor 7 und hat uns schon mal einen Kaffee gemacht (meine 3.) Aber es war wirklich schw... kalt !
Die ganze Nacht durch hatte ich (wahrscheinlich wegen des vielen Kaffees) überhaupt kein Bedürfnis zu schlafen - im Gegensatz zu manch anderem, der dann bei Mäkkes auf der Bank geschlafen hat. Aber gegen 8 Uhr hatte ich dann doch einen Moment den ich nie vergessen werde: vielleicht war es ein Sekundenschlaf auf jeden Fall hatte ich sowas wie Halluzinationen und ich habe kurzzeitig Dinge auf der Strasse gesehe, die gar nicht da waren: ein Vater mit seinem Sohn, der dann plötzlich wieder weg war, oder am besten: aus zwei Strichen aus dem Mittelstreifen haben sich während der Fahrt auf einmal Flügel eines weißen Schwans gebildet, der dann weggeflogen ist ... (falls jemand das deuten kann / will gerne PN an mich)
Die letzten 20km für mich konnten wir sogar nochmal etwas Gas geben (30-31km/h)
Da mein Garmin kurz mal keinen Saft mehr hatte (man muss sich immer was überlegen, wie man die diversen elektrischen Geräte über die Distanz auf Laufen hält) fehlten mir ca. 2km und als ich schließlich in Bocholt (meinem Ziel) ankam, hatte ich tatsächlich 599km auf dem Tacho. Das ging natürlich nicht ! Also nochmal was drangehängt, jetzt habe ich meinen ersten 600er "verbrieft". Reine Fahrzeit: 21:52, inkl. Pausen 27:25h unterwegs gewesen.
Achso, was alle fragen (und ich mich vorher auch), wie hält der

Hintern das aus ? Mit Hirschtalkum (oder einer ähnlichen Salbe) regelmäßig aufgetragen geht es ganz gut, am Ende alle paar km mal kurz aus dem Sattel, zurechtruckeln und weiter geht ́s ...
Warum tut man sich sowas an (2. Frage, die oft kommt): Antwort eines Mitfahrers nach einigem Nachdenken: warum rauchen oder trinken manche ? Und dann noch: man kann gut meditieren ... nichts hinzuzufügen (bei mir war es hier aber tatsächlich auch der Wunsch, meine Grenzen auszuloten)
Fazit: eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich:
ja ich kann tatsächlich 600km am Stück fahren
Fahre nie (zu lange) über deine Verhältnisse, das recht sich irgendwann
Rechtzeitig die Kohlenhydratspeicher richtig (!) füllen
Und wenn du glaubst es geht nicht mehr (dann geht es doch irgendwann wieder)
Nicht zu früh aufgeben, sondern an sich glauben
Dann können sich hinterher noch schöne Momente ergeben
Übrigens Paris Brest (und wieder zurück) = 1200km müssen echt eine Erfahrung sein: 6000 Fahrer aus aller Welt, man erstellt pro Land ein spezielles Trikot, die hinterher gerne auch getauscht werden. Sehr viele Fans an den Straßen, da es in Frankreich ein Kulturgut ist.
Aber NEIN - das habe ich nicht vor ...